Samstag, 24. Januar 2009
 
Armeniergenozid: Geschichte per Gesetz PDF Drucken E-Mail
Geschrieben von Bernhard Redl   
Dienstag, 17. Oktober 2006

Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, selbst ein Kritiker der türkischen Lebenslüge über den Genozid an den Armeniern, findet das jüngst im französischen Parlament beschlossene Gesetz, das das Leugnen dieses Verbrechens unter Strafe stellt, fatal. Soll und darf man Denkverbote erlassen oder kann es sich eine offene Gesellschaft leisten, auch mit falschen und dummen Meinungen Einzelner oder ganzer Gruppen zu leben?

Die Bestimmungen zum Verbot der "Auschwitz-Lüge" waren der Türöffner. In Österreich und Deutschland wurde die Leugnung von Nazi-Verbrechen verboten, um Neonazis auch deswegen verfolgen zu können. Damit wurden aber historische Fakten in Rechtsnormen gegossen und damit aus der geschichtswissenschaftlichen Sphäre in die juristische verlagert -- aus einer Erkenntnis, die einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung entsprang, wurde eine dogmatische, dekretierte Norm.

In der Schweiz und in Spanien wurde generell das Leugnen oder Verharmlosen von Völkermord unter Strafe gestellt. Diese Gesetze, die immerhin selbst keine inhaltlichen Normen festschreiben, verlangen dennoch von der Geschichtswissenschaft gesicherte Fakten, die die Judikative als Beweis verwenden kann. Dadurch wird Geschichtswissenschaft aber zu einer Hilfswissenschaft der Juristerei und hat deren Vorstellungen von Beweis zu genügen -- eine bedenkliche Angelegenheit, da eine "objektive", da unpolitische Geschichtswissenschaft kaum denkbar ist.

Wenn man davon absieht, daß der Staat sich dadurch natürlich auch selbst als "antifaschistisch" beweihräuchern kann, scheint die Intention hinter solchen legistischen Maßnahmen ehrenhaft zu sein. Auch rechtsphilosophisch ist dagegen nicht einzuwenden, daß es sich dabei um eine Novität und damit um einen Bruch der Rechtstradition handle, stellen doch auch Normen wie "Üble Nachrede" oder "Verleumdung" unwahre Behauptungen unter Strafe.

Allerdings wirft es die politische Frage auf, wieweit der Staat in Folge dieser Präzedenz-Gesetzgebung ermächtigt wird, ganz generell historische Fakten sakrosankt zu machen. Warum denn nur die Nacherzählung der Nazizeit rechtlich absichern, das kann man doch auch mit anderen Dingen machen, wenn es gerade politisch opportun erscheint?

Ein Beispiel dafür, daß diese Gefahr vorhanden ist, lieferte jetzt die französische Gesetzgebung mit der Kriminalisierung der Leugnung des Völkermords an den Armeniern in der Türkei. Sicher ein historisch abgesichertes Faktum, aber warum wurde dieses Gesetz beschlossen? Die Grünen im Europäischen Parlament erklären es in einer Aussendung damit, daß es wohl ein Wahlzuckerl an die in Frankreich recht starke armenische Gemeinde war.

Umgekehrt wird aber auch ein Schuh daraus, denn die EP-Grünen gehören zu den härtesten Verfechtern eines EU-Türkeibeitritts und hatten sich massiv dafür eingesetzt, daß ein Einbekenntnis der Türkei zum Völkermord an den Armeniern nicht Beitrittsbedingung sein dürfe. Sie argumentieren, daß dadurch die Diskussion in der Türkei weiter angeheizt würde und es dadurch erst recht nicht zu einer offenen Debatte dort käme. Die Argumentation dürfte nicht ganz unberechtigt sein, doch stellt sich schon sehr die Frage, ob es da nicht auch um eine unzulässige Rücksichtnahme auf die Befindlichkeiten in Ankara geht.

Denn aus der Geschichte soll man ja bekanntlich lernen. Debatten um den Holocaust oder den Armeniermord oder den Indianer-Genozid oder Katyn oder, oder, oder... könnten ja ruhig rein akademisch bleiben, wenn sie nicht die politische Bedeutung hätten, daß man daraus Schlüsse für die Gegenwart und die Zukunft ziehen möchte.

So hat auch die Geschichte der Armenier in der Türkei den Konnex zum Staatsdogma des "glücklichen Türkentums" und der aktuellen Menschenrechtssituation in diesem Land. Die Grünen hatten immer betont, daß ein Beitritt der Türkei wichtig sei, um eben diese Menschenrechtssituation zu verbessern. Dann aber plötzlich zu sagen, über dieses und jenes Thema reden wir lieber nicht, weil da könnten wir jemanden vergrämen, ist ein fatales Signal an den türkischen Staat.

Die Entscheidung des französischen Parlaments ist daher genauso falsch wie die Haltung der Europäischen Grünen. Politische und historische Fragen muß man auf politischer und historischer Ebene debattieren. Besteht das Interesse, zu einer Gesellschaft mündiger Bürger zu kommen? Dann gilt es zwar sehr wohl historische Wahrheiten zu erkennen, dies ist aber eine gesellschaftliche Aufgabe, die Historiker und Politiker, vor allem aber Gesellschaften als Ganze sowie jeder Einzelne leisten müssen -- auch wenn es weh tut.

Eine Beendigung solcher Debatten, egal ob durch Gesetz oder durch Stillschweigen, ist unangebracht. Das gilt erst recht, wenn hinter einer solchen Beendigung politische Interessen zu vermuten sind, die mit der Sache selbst nichts zu tun haben.

< zurück   weiter >